Sonntag, 4. März

Ein harter Schnitt: Vom Bauwageninneren mit wenig mehr als zwanzig Menschen in fünf Kilometer Umkreis, umgeben von Feldern und Wiesen, Schafen, Ziegen, Schweinen, Rehen und Gänsen zurück zur Friedensstrasse 60, zweiter Stock im Vorderhaus, da wo das Licht noch brennt, dort im Erker mit bestimmt gut 2000 Menschen drum herum und Hunden und Katzen, die weitestgehend verborgen mit einsamen Menschen in zu engen Wohnungen hausen und nur zum scheißen vor die Tür geführt werden…

Was kann ich noch für den harten Kontrast anbringen? Die Bahnfahrten, das Treppensteigen, das sich zur Eile zwingen, um die nächste Bahn zu bekommen, um pünktlich beim nämlichen Ort zu sein? Na gut, ich bin wieder da, mein Kunitzintermezzo hat mit dem Verlassen des Wiesenauer Bahnhofes – dort, wo in vierzig Warteminuten nur zwei Personenzüge und ein Güterzug kreuzten und ich der einzige Wartende war -  ein promptes Ende. Ich kam heute Morgen nicht mehr dazu, mich über den nächtlichen Terror der Feldmäuse im Wagen zu beklagen, es wäre ja auch eine langweilige Wiederholung. Aber sie sind immerhin handgreiflich geworden, sind mir auf den Pelz gerückt und haben mein Notizbuch angenagt. Mehr Spuren der nächtlichen Mäuseaktivitäten habe ich (bislang) nicht gefunden, aber warten wir es ab, da findet sich sicher noch was. Immerhin ist es Feldmäusegebiet, ich sollte mich nicht beschweren, war nur Kurzzeitgast im Feldmäuseland und bin nun zurück bei den Menschen, die hier eng neben- über- und untereinander hausen. Eine Parzelle Wohnung so schmuck wie die andere, reihen sich Quadratkilometer für Quadratkilometer in sämtlichen denkbaren Gestaltungen aneinandergedrängt unterbrochen von ein- bis sechsspurigen Strassen und Grünflächen á la kommunalen Flächennutzungsplan. Der Stadtmensch hat aber im Gegenteil zum Schaf auf dem Land durchaus die Möglichkeit, sein Gatter individuell zu gestalten, trifft sich außerhalb zum Essen oder genießt die Ablenkung in allen ausschweifenden Varianten, opfert sein Bewusstsein über seinen wirklichen Lebensmittelpunkt diesem Ort mit seinem abschließbaren Reich, seinem Briefkasten und Telefonnummern  - der Internetanschluß! – dieses immerwährende Hin und Her zwischen Wohnungen, Büros, Kinosälen, Kneipen, Supermärkten und begrünten Plätzen, opfert also die Achtung gegenüber sich selbst, seine Selbstbeobachtung in dieser Stadt, für die Götze der Ablenkung, weicht sich selbst auf in den Scheinschaumbädern der Nebensächlichkeit. Ein  Bauwagen mit zwei terroristischen Feldmäusen ist nur objektiv ein gänzlich anderes Universum als diese Großstadt. Das hier ist nur unübersichtlich weil es viel ist. Davon ist es aber nicht komplexer. Doch man erklärt es den Leuten als eine äußerst verwickelte Angelegenheit, so dass all den abgestumpften Gemütern, die sich lieber mit dem Konsum von was weiß ich beschäftigen, als mit sich selbst und den aus diesem Sich- Selbst- Sein resultierenden Problemen, eine Orientierung, ein Rundumblick unmöglich wird…

Es ist in der Nacht in Berlin. Es regnet nicht, der Vollmond ist eine helle runde Gestalt und ich wäre gespannt, wie er gerade die Ziltendorfer Niederung bescheint, wenn der Nebel langsam in der zunehmenden Kälte aus den Feldern steigt, ein Spiel zwischen Licht und Dunkelheit, ein im Vergleich zum üppigen Farbenspiel der Stadt irritierend simpler, aber ungleich stärkerer Kontrast. Ich werde mich nicht mehr in den Schlafsack legen heute Nacht. Da steht mein Bett hinter mir, dort an der Heizung habe ich nach meiner Widerankunft kurz am Rädchen gedreht und binnen fünf Minuten war es angenehm temperiert. Ich habe eine heiße Dusche genommen, mir die fettigen Haare gewaschen und eine Waschmaschine gemacht. Ich bin angekommen, habe alles ausgepackt, sofort, wie ich es immer nach einer Wiederankunft mache, eine Art Herantasten an den jeweiligen Ort, die Spuren meiner zeitweiligen Vakanz verschwinden lassen -  die Blätter meiner Blumen neigten sich ausgedörrt zum Boden, ich habe ihnen nun wahrscheinlich den Rest gegeben und sie ertränkt. Es gibt Rechungen zu bezahlen und sich über das Internet Informationen zu holen, die in Kunitz gänzlich ohne Relevanz waren. Aber so schlimm war es nun auch nicht. Die Sonne machte mir den Aufstieg aus dem U-Bahnhof Weberwiese einfach, die Strassen lagen satt im Sonnenlicht, ich jagte mir in dem „Friedensdöner“ etwas zu essen und fuhr später mit Musik auf den Ohren durch die Stadt zur Probe. Die Rehabilitation meiner Ohren, wie man sie nach einem  Stilleaufenthalt im Kunitzschen Küchenbauwagen annehmen könnte, ist nun wieder hinfällig.

Es gut zu wissen, dass beides nebeneinander funktioniert – das Hier- Sein und das Dort- Sein, die Möglichkeit zweier Leben in einem….

       ---Ende---

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